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Die Wandernden im Nebelmeer (Tag 5)



Heute laufen wir quasi zu Ehren des 250. Geburtstages des Künstlers Caspar David Friedrich. Ihr kennt doch sicher das Bild von ihm, in welchem ein Wanderer in Rückenansicht am Berggipfel vor einem nebelgefüllten Abgrund steht (und das passenderweise "Der Wanderer über dem Nebelmeer" heißt). Stellt euch vor, der Mann ist eine junge Frau mit Wanderrucksack und einem Golden Retriever im grünen Fahrradanhäger. Und dann stellt euch vor, die beiden setzen sich in Bewegung, folgen dem kleinen Trampelpfad am linken Ende des Bildes, der sich langsam den Hang hinab schlängelt. Die ersten Nebelschwaden wadern um die ausgetretenen Wanderschuhe, kriechen die mit einer Regenhose bedeckten Beine hinauf und schlagen schließlich über den Köpfen der beiden zusammen. Und dann stellt euch vor, dass beide noch tiefer hinab laufen, bis die Nebeldecke undurchdringlich wird und die Sicht keine 100m mehr beträgt. Bleibt stehen, seht euch um. Jetzt habt ihr unsere Wanderbedingungen für den Albabstieg.


auf einen blick: lonsingen (St. Johann) - reutlingen

Länge: 17,8km (sagt Tractive)

Höhenmeter: 130m hoch, 433m runter (sagt GoogleMaps)

Dauer: Mit Pausen heute etwa 6,5h

 

Start: Lonsingen St. Johann (Airbnb)

Ziel: Reutlingen Hohbuch

 

Empfohlene Ausrüstung: Regenfeste Klamotten. Denn es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung!

Der Weg: Wir starten mit dem kurzen Abschnitt von Lonsingen nach Würtingen (St. Johann) durch den Wald, um uns dort ein Frühstück in der Dorfbäckerei Tiefenbach zu holen. Anschließend folgen wir dem Fahrradweg nach Eningen unter Achalm und nach Reutlingen. Den Weg durch Reutlingen hindurch finden wir dann allerdings nur mit GoogleMaps...



Nachdem ich im Airbnb morgens noch Bekanntschaft mit einem der Bewohner*innen schließe (der lustigerweise auch aus Hildrizhausen kommt - klein ist die Welt!) und ein letztes mal die zuckersüße Katze knuddele, machen wir uns auf den Weg. Zwar laufen wir beide den ersten kleinen Teil der Strecke nach Würtingen erstaunlich flüssig, aufgrund des noch ausstehenden Frühstücks aber nicht ganz frisch. Nach dem schönen sonnigen Tag gestern führt der Nebel zu einer eher gedämpften Grundstimmung. Außerdem ist es ganz schön abgekühlt. Allerdings sind die Menschen in Würtingen wirklich nett - muss man sagen. Die erste Begegnung habe ich bereits am Ortrand. Ich komme mit einem Mann ins Gespräch, der ganz erstaunt über unser Alb-Wander-Projekt ist und der mir die beiden vollen Hundekotbeutel abnimmt: "Sie nehmen schon genug auf sich, da kann ich Ihnen wenigstens den Müll abnehmen".

Dann beim Bäcker das nächste Schwätzchen, nachdem unser Anhänger sich die Einfahrt vor dem Außensitzplatz mit dem Motorroller eines älteren Herrn teilt. Wir quatschen uns trotz der Kälte richtig fest und ich kann ihm und seinem Kumpel kurz die Leine in die Hand drücken, um mir einen großen schwarzen Kaffee und Verpflegung für den Tag in der Bäckerei zu holen. Sie loben, wie brav mein Hund doch ist (woraufhin ich mal wieder um mindestens zehn Zentimeter wachse) und geben mir noch gute Tipps mit dem auf den Weg. Den Zuspruch kann ich heute auch ganz gut gebrauchen.

Gut gestärkt starten wir anschließend in die Nebelsuppe, die sich schwäbische Alb nennt. Ich bin sicher, der gut ausgeschilderte Radweg ist ganz hübsch zu laufen und böte bei gutem Wetter einige schöne Ausblicke - aber man sieht einfach gar nichts. Die Welt versinkt im Grau. Immerhin ist bei diesem Wetter auch niemand unterwegs, ich kann also nach Herzenslust Lieder schmettern und mir so die Zeit vertreiben.

Insofern gibt es aber auch nicht sehr viel Spannendes zu berichten, bis wir an den Weg kommen, der die Alb hinunter führt. Ihr kennt das Problem von gestern: meine Person plus 20kg Wanderrucksack plus 30kg Hund im Anhänger führt dazu, dass ich auf dem Weg hinab die Hangabtriebskraft aufs Übelste beschimpfen muss, weil sonst meine zitternden Oberschenkel beleidigt mit mir sind. Zusätzlich handelt es sich heute um rutschigen Schotter. Kurzum: wir brauchen unten erstmal eine Pause.

Immerhin, man merkt den Höhenunterschied auf die Alb hoch. Nicht nur, dass wir uns jetzt unter der Nebeldecke befinden und nicht mehr darin, nein, auch die Bäume grünen und blühen! Auf der Alb blüht noch nichts und hier ist schon richtig Frühling!

Leider hat sich nur an den Temperaturen nichts geändert. Entsprechend ist es echt kalt und unser Päuschen fällt etwas kürzer aus. Laki bekommt außerdem sein Mäntelchen angezogen. Er muss sich trotzdem ganz eng zusammenkuscheln.

Bis Eningen unter Achalm geht es dann entlang blühender Obstbäume an den Feldern und Wiesen vorbei. Plötzlich kommt uns ein Lastwagen entgegen - auf dem schmalen Fahrradweg, wobei die Böschung seitlich stark ansteigt und ein Ausweichmanöver deutlich einschränkt. Keine Ahnung, wo der her kommt und was er hier abseits der regulären Straßen eigentlich will, aber da er im Zweifelsfall stärker ist als wir, rufe ich den Hund ab und setze ihn erhöht ab. Dann schiebe ich so gut es eben geht den Wagen in Schräglage (Spoiler: funktioniert nicht ganz so gut). Ich rüttele noch etwas an dem Gefährt, aber der LKW-Fahrer winkt ab: "Basst scho". Also gut, vertrauen wir ihm mal.

Es sieht für mich nicht so aus, aber er hat Recht. Es ist zwar knapp, aber "basst scho". Puuh!

Sobald wir vom Fahrradweg in die Stadt einbiegen, darf der Goldie-Prinz wieder in den Anhänger. Es ist der erste Tag in einer Stadt, seitdem wir Ulm verlassen haben und vielleicht hat sich durch das viele Wandern an der frischen Albluft meine Nase sensibilisiert, aber meine Güte, Autos stinken! Und die Stadt ist so hektisch! Und die Menschen alle so distanziert und unfreundlich. Es ist ein richtiger Kulturschock!

Ehrlich, nach eineinhalb Stunden Stadtspaziergang bin ich mit den Nerven völlig am Ende. Dann doch lieber 15km durch den Wald!

Aber der Abend wird dann wieder schön. Laki und ich sind bei einer Freundin und ihrem Mann untergekommen, die glücklicherweise am Stadtrand wohnen. Wir verbringen den Abend mit gutem Essen, lustigen Spielen und vielen Geschichten, sodass wir morgen gestärkt in den Tag starten können.


Das war also unser Tag im Nebelmeer - nicht ganz so romantisiert, wie bei Caspar David Friedrich, sondern eher nass und kalt, aber alles in allem doch ein erstaunlich guter Tag. Zeitweise hatte es sogar fast etwas meditatives, durch die graue Wattelandschaft zu marschieren und sich ganz auf sich zu konzentrieren. Ich hätte es nicht gedacht, aber auf der Alb (abseits der Stadt) hatte ich auch zu keinem Zeitpunkt schlechte Laune oder Abbruchgedanken. Nicht mal im Regen, denn: es gibt kein schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung. Und morgen soll das Wetter auch wieder besser werden.

 

Insofern liebe Grüße und gute Nacht,

wir zwei

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